Andreas Malm: Markt beisst Energietransformation

Future Histories mit Andreas Malm: Overshooting into Climate Breakdown – weiteres Interview bei Breakdown

Der Humanökologe und Klimaaktivst Andreas Malm bespricht die momentane Lage der Transformation zu grüner Energie.

Pragmatic Overshoot: Die «das fixen wir dann später»-Ideologie

Overshooting ist die Idee, über 1.5°C Klimaerhitzung hinauszuschiessen, danach aber mit neuen Technologien das Klima wieder zu fixen.

Vielleicht haben das ein paar Leute sogar ernst gemeint – aber im Effekt wurde es zur Rechtfertigung, länger weiter zu machen wie bisher: Diesen einen Dino können wir noch aus dem Boden kratzen. Und diesen. Lasst uns noch ein bisschen Zukunft verbrennen, dann fixen wirs!

Ganz nebenbei ignoriert dieser Plan auch das Problem der Kipppunkte: Einmal geschmolzen, kommt ein Eisschild nicht zurück. Und der zur Steppe gewordene Regenwald auch nicht. Auch wenn man es schafft, das Klima nach dem Überschiessen wieder abzukühlen.

Profit sticht Zukunft

Was wir eigentlich tun müssten: Die Energieversorgung so schnell wie möglich auf erneuerbare Energie umstellen. Doch dafür müsste viel fossiles Kapital vernichtet werden. Dazu sind auch viele Regierungen, die den Klimawandel anerkennen, nicht bereit. Stattdessen setzen sie auf die Kräfte des Marktes.

Nun weisen aber Erneuerbare bei weitem nicht dieselben Profitraten wie Fossile auf. Während Erneuerbare auf wenige Prozent (3-4%) kommen, lässt sich mit Fossilen 10–30% Profit erzielen (Brett Christophers, auf den sich Malm bezieht, spricht von 5-8% vs. über 15% (Min. 41)).

Das Geld geht dahin, wo es am meisten zu holen gibt. Ausserdem sind in Fossile investierte Akteur:innen bemüht, darauf hinzuwirken, dass die fossilen Vermögenswerte ihren Wert nicht verlieren (asset stranding). Es gibt also einen inhärenten systemischen Anreiz, die Umstellung auf grüne Energien nicht durchzuführen – Die Profitlogik des Marktes verhindert die Transformation.

Vor diesem Hintergrund auf den Markt zu setzen, ist magisches Denken. Malm sieht den Klimawandel anerkennende kapitalistische Regierungen wie die von Biden oder Obama deshalb als genauso realitätsfremd wie klimaleugnende Regierungen – beide stehen im Konflikt mit der Realität, der Bruch passiert einfach an einer anderen Stelle (Breakdown, Min. 20).

Profitlogik und Kommodifizierung feiern zusammen Party

Und es kommt noch perverser: Das fossile Kapital profitiert von Unsicherheit und Kriegen – die Profite von Gas und Öl steigen, wenn alle Angst vor Energiemangel haben. Solarenergie und Wind haben dieses Problem nicht, denn sie sind nicht commodifiable – also nicht (leicht) "als Produkt verpackbar", das im Tanker überallhin transportiert werden kann.

Doch unser Wirtschaftssystem hat Perversionen in Grosspackungen im Angebot (jetzt nur 9.99 für 3 Perversionen!) und schafft es, den massiven Vorteil der Unabhängigkeit zu einem Nachteil zu machen: Was bei Fossilen Profit verspricht (auf Kosten der Konsumierenden), bringt bei den Erneuerbaren keinen Zusatzprofit, was sie zu einer weniger attraktiven Investition macht. Also führt das Geld seine toxische Beziehung mit den Fossilen fort.

Hier wären Staaten gefragt – aber oft ergreifen sie nicht Partei für Zukunft, sondern sind Gefangene (oder Wärter:innen) der Interessen des Fossilkapitals. So hat z.B. Biden die Fossilindustrie noch mehr hofiert als Trump in seiner ersten Amtszeit.

Welche Optionen haben wir nun?

Laut Malm: genau drei (gegeben unser Wirtschaftssystem, in dem das radikale Herunterfahren der Emissionen, eigentlich das Naheliegendste, von den oben beschriebenen Mechanismen verunmöglicht wird):

  • Klimaanpassung (Adaption)
  • Negativemissionen (CO₂ removal)
  • Geoengineering

Klimaanpassung wird so oder so passieren – meist ad hoc, mit den gerade zur Verfügung stehenden Ressourcen. (Sprich: Wer genug Geld hat, kann sich freikaufen. Also: es versuchen.)

Negativemissionen

Viele Leute haben viele Ideen, wie wir CO₂ aus der Atmosphäre entfernen könnten – einige clever, viele völlig absurd.

Malm geht einerseits auf BECCS ein (im grossen Stil Bäume pflanzen, fällen, verbrennen, CO₂ entziehen und im Boden speichern), welches bisher technisch nicht funktionstüchtig ist, darüber hinaus aber auch so massiv viel Land bräuchte, dass die ganze Welt vegan leben müsste, um überhaupt auf genug Fläche zu kommen – in Malms Worten (Min. 45):

A lesson in the insanity of banking on unproven negative emissions technologies and use them to justify continued business as usual.

Unterdessen ist die Karawane der Klimafixeria weitergezogen zu Direct Air Capture (DAC, CO₂ aus der Luft filtern). Das braucht viel weniger Land, dafür sehr viel Strom und Hitze (um die Filter zu prozessieren). Und dann mischt sich wieder die Profitlogik ein: Würde man das aus der Luft gefilterte CO₂ in den Boden einbringen (was Stand 2024 genau eine Anlage in Island macht), ist es weg. Aber meist wird es verkauft an Firmen, die Süssgetränke mit Sprudel verkaufen, oder – Ironie hat jetzt eine Waffe und sich gerade in den Fuss geschossen – an Firmen, die es für Ölförderung einsetzen.

Fazit: DAC könnte ein Teil der Lösung sein, aber nur, wenn es als Teil der Abfallwirtschaft verstanden wird und keinen Profit machen muss.

Geoengineering

Geoengineering oder Solar Radiation Management meint Strategien, welche einen Teil der Sonneneinstrahlung in die Atmosphäre verhindern. Es geht also nicht um Ursachen-, sondern um Symptombekämpfung.

Die populärste Idee ist, Schwefeldioxid in die Atmosphäre einzubringen, das dann künstliche "Wolken" bildet (oder bilden sollte dürfte könnte würde, wenn alles gut geht). Der Vorteil ist, dass dies schnell viel bewirken könnte (Abkühlungseffekt innert Monaten). Die Technik ist jedoch bis jetzt rein theoretisch und mit grossen Risiken verbunden.

Geoengineering als Lösung ins Blickfeld zu rücken ist nach den ebenso hypothetischen Negativemissionen die neue Spielart, um Business as usual vom Fortschreiten der Klimakatastrophe zu entkoppeln. Vielleicht werden wir eines Tages froh darum sein (und die damit einhergehende Militärmacht das kleinere Übel sehen) – aber bis dahin gilt: Besser das Problem lösen, als auf noch mehr Unbekannte zu spekulieren.

Und dann wäre da auch noch die Frage: Wer organisiert eigentlich Geoengineering (und bezahlt es)?

Das Ruder übernehmen

Im Moment gilt ja der Markt, dieses genial-schreckliche Fabel-Ungeheuer, immer noch als der Königsweg.

Das Problem: Die Energieproduktion ist im Moment unter der Kontrolle von einigen mächtigen Konzernen und der besitzenden Klasse. Diesen geben wir durch das Anbeten des Fabel-Ungeheuers implizit das Recht, den Planeten zu zerstören. Wirklich fabelhaft wäre, die Energieproduktion zu demokratisieren – doch das gilt als ungeheuerlich.

Die Ironie: Wenn wir jetzt nicht eingreifen (weil allwissendes Fabel-Ungeheuer stören böse!), wird ein Eingreifen später umso notwendiger. Und zwar in noch viel massiverem Ausmass: Irgendjemand muss diese Negativemissionen in den Boden oder das Schwefeldioxid in die Luft bringen. Und das wird nicht der Markt sein.

Fazit

Die überall eingebaute Profitlogik bewirkt, dass es alles schwer hat, was für Zukunft und nicht für Profit arbeitet. Es ist perfid: Der Kapitalismus verhindert die offensichtliche Lösung (aufhören, die Erde zu verbrennen) – und die Lösungen, die darauf reagieren, werden auch von ihm ausgehöhlt. (Wir dürfen uns jedoch sicher sein: Wenn die Umstellung irgendwann halbwegs gelungen sein wird, werden dem Fabel-Ungeheuer huldigende Leute natürlich zu Protokoll geben, dass das das Verdienst des Marktes sei, obwohl die Transformation die längste Zeit mit monetärer Verhätschelung des Ungeheuers und weiteren Tricks gegen den Markt durchgesetzt werden musste.)

Die Hoffnung sind Photovoltaik und Windenergie. Hier sehen wir gerade partielle Fortschritte trotz Ungeheuer (zum Preis von tonnenweise Keksen (Subventionen), mit dem wir es füttern). Je mehr und je schneller Wind- und Solarenergie ausgebaut werden, desto mehr verändert das die Realität. Sie machen uns sowohl unabhängig von Diktaturen und Preisschwankungen als auch die Fossilbranche überflüssig, die dem Umbau im Weg steht.

Kim   •   27.12.2024