Republik 10/22: Diskussion zu Klimapolitik in der Schweiz mit Politikerinnen der Grünen (Regula Rytz) und GLP (Melanie Mettler), Gletscherinitiative-Initiant Marcel Hänggi und ETH-Klimawissenschaftlerin Sonia Seneviratne
Vor der Parlamentswahl 2019 gab es eine riesige Klimademo in Bern. Bei den Wahlen legten Grüne und Grünliberale zu. 2021 wurde das CO₂-Gesetz in einer Referendumsabstimmung abgeleht.
So weit so klar. Was man als Normalbürger:in nicht sieht, sind die Gespräche, Strategien und Bewegungen im Hintergrund. Was passierte zwischen Parlament, Gletscherinitiative und Wissenschaft? Und warum scheiterte das Destillat davon, das CO₂-Gesetz? Ein Einblick ins Räderwerk der Realpolitik.
Mehrheiten
Anders als im im Kanton Zürich gibt es auf Bundesebene keine «Klima-Allianz», also keine Mehrheit von links, Mitte-links und Grünbürgerlichen, welche Klimaanliegen durchs Parlament tragen können. Im Nationalrat fehlten dafür in dieser Legislatur 15 Sitze, auch nach den Zugewinnen der grünen Parteien.
Die Frage war also: Wie eine Mehrheit zimmern? Mit der SVP war eh nichts zu wollen. Bei der FDP hingegen gab es Anfang Legislatur 2020–2023 den Willen, Klimapolitik zu machen. Also wurde hinter den Kulissen versucht, mit FDP (und CVP) eine Mehrheit zu zimmern.
Laut Regula Rytz (Grüne) war die Strategie der Grünen sogar, die Schafferinnen und Brückenbauer in die einschlägigen Kommissionen zu senden (z.B. Bastien Girod) und nicht die Ideologischeren – also Realpolitik par excellence. Die Idee sei gewesen, einen Kompromiss zu erreichen, der bis zur Schmerzgrenze der FDP ging, aber sie ins Boot holte. Deshalb wurde stark auf Lenkungsabgaben gesetzt.
CO₂ senken – aber wie?
Grundsätzlich gibt es drei Ansätze in der Klimapolitik:
- Lenkungsabgaben, also CO₂-intensiven Gütern wie Benzin einen Preis geben, um Marktmechanismen zur Senkung von CO₂ einzuspannen
- Subventionen, um gewünschtes Verhalten zu fördern (z.B. den Bau von Photovoltaik oder den Kauf eines Elektroautos verbilligen)
- Verbote, z.B. Vorgaben wie "ab 2025 dürfen keine Öl- und Gasheizungen mehr verkauft werden"
Lenkungsabgaben galten lange als eine Art Königsweg, weil schon noch clever: Auf Produkte mit hohen CO₂-Emissionen ein paar Prozent draufschlagen, die dann anderes verbilligen oder allen zurückverteilt werden – Das Resultat ist erwünschtes Verhalten fördern und soziale Abfederung in einem, und Geld muss der Staat auch nicht in die Hand nehmen. Wohl deshalb fallen sie auch bei der Marktpartei FDP auf fruchtbaren Boden. (Spitze dazu von Regula Rytz: Die Grüne seien bei der Wahl der Mittel nicht ideologisch, Hauptsache es habe einen Effekt.)
Das Problem: schwer zu vermitteln. Der Mittelstand ist überzeugt, er müsse in diesem Modell mehr zahlen, auch wenn die meisten profitieren würden. Wohl deshalb gibt es nur wenige Länder, die Lenkungsabgaben fürs Klima implementiert haben – ironischerweise darunter die Schweiz, das Wissen darüber ist aber dürftig.
Der Trend geht eher zu den anderen Mechanismen (Verbote und Subventionen):
- In der EU gilt ein Benziner-Verkaufsverbot ab 2035
- Im Kanton Zürich wurde der Neubau fossiler Heizungen stark beschränkt
- Die meisten Kantone fördern nachhaltige Heizungen mit Fördergeldern
- Auch der Inflation Reduction Act in den USA setzt vor allem auf Subventionen
Warum scheiterte das CO₂-Gesetzes in der Abstimmung?
Min. 20–35
Kommunikation: Die FDP übernahm die Kampagnenleitung. Die Idee war, dass so andere Milieus erreicht werden konnten. Doch die FDP konnte weder ihren Leuten noch den Linken das Gesetz schmackhaft machen. Und es wurden "handwerkliche Fehler" gemacht: Die Kampagne war etwas lauwarm, mit schwachen Sujets und Claims. Die "Einbindetaktik" hat also nicht gefruchtet.
Dazu kam, dass die SVP die Klimapolitik entdeckte – und ein Framing fand, das zog: "euch wird Geld weggnommen". Das stimmt zwar nicht, aber alle liessen sich auf das Feld der Kosten zwingen, so dass am Schluss hängen blieb: Wir müssen zahlen fürs Klima!1!!!
Zusätzliches Pech war, dass die Agrarinitiativen, die gleichzeitig an die Urne kamen, die ländliche Bevölkerung übeproportional mobilisierten (gfs.bern).
Der Inhalt war wohl nicht ausschlaggebend. Im Kanton Zürich wurde ein halbes Jahr später das Energiegesetz, das auf Vorschriften und Subventionen setzt, in einer Abstimmung angenommen. In einer neueren Studie sprechen sich hingegen mehr Leute für Lenkungsabgaben als für Verbote und Subventionen aus (SRF). Deren Auswirkungen werden allerdings von vielen Leuten falsch eingeschätzt.
Fazit
Der Kompromiss-Ansatz prägte die zu Ende gehende Legislatur 2020–2023. Mit dem versenkten CO₂-Gesetz war die Luft draussen, das Bündnis hat sich wieder versprengt – Die FDP hat sich von der Klimapolitik verabschiedet, die Linken setzen wieder auf klare Kante (Klimafonds-Initiative) und die Gletscherinitiative versucht noch das Beste rauszuholen.
Scheint nicht so einfach zu sein, diese Politik. Mehrheiten zimmern, sich vernetzen, Kompromisse schmieden – Aber wenn alle nur halb dahinter stehen, wird’s nichts. Was nun? Ausgewogenere Vorlage? Bessere Kommunikation? Schneemangel, Hitzewelle und Energiekrise?
Was es ganz sicher braucht: Etwas im Köcher, um bereit zu sein, wenn die Zeichen gut stehen für einen Schritt vorwärts. Und bis dahin genug Ausdauer.