Jacobin Talks: Nur Investitionen können uns retten! mit Alexander Brentler vom Jacobin (gibt es auch als Podcast)
Auch wenn man Jacobin und Sozialismus kritisch gegenübersteht – dieses Gespräch darüber, wie die Politik der Klimakrise begegnet und wie es anders gehen könnte, lenkt die Diskussion auf zentrale Punkte, die meist übersehen werden.
Es besteht aus zwei Teilen: Aus einer wirtschaftspolitischen Analyse und einem “was tun”.
De-Risking
Die Analyse geht so: Unser politisch-wirtschaftliches System (Neoliberalismus) und dessen Mechanismen beschränken die Handlungsmöglichkeiten, um nötige Umsteuerungen zugunsten des Klimas vorzunehmen. Da Staaten grössere Eingriffe verwehrt sind, müssen private Geldgeber zu Investitionen in Infrastruktur gebracht werden.
Das verunmöglicht einerseits Alternativen zu Wachstum und Konsumismus, aber auch der Umbau hin zu Erneuerbaren wird einer Profitlogik unterworfen: Nur wenn es sich lohnt, wird in Solar- und Windkraftausbau, Energiespeicher oder öffentlichen Verkehr investiert. Der Finanzsektor ist eigentlich sofort dabei, wenn es gilt, neue Branchen zu schaffen, wo wieder etwas zu holen ist – nur muss das eben Profit abwerfen, oder genauer gesagt: Das Risiko-Ertrags-Profil muss stimmen.
Das ist bei vielen Technologien nicht der Fall, die wir benötigen, um einen lebenswerten Planeten zu erhalten (was ja, nebenbei bemerkt, hallo Ironie!, für jegliche Art von Wirtschaft Voraussetzung ist). Zum Beispiel Solarzubau in Afrika: win-win-win, aber unsichere Aussichten, weil Profite nicht garantiert.
Wo wir stehen
In diesem ökonomischen Paradigma haben wir es zwar geschafft, die prognostizierte Klimaerwärmung erheblich zu drücken (von 4° auf sehr optimistisch 2°), aber obwohl klar ist, dass das nicht reicht, und wir alle langfristig von beherzterem Eingreifen profitieren würden, klemmt es.
Die rot-grüne deutsche Regierung hat vor zwei Jahrzehnten dezentrale Erneuerbare marktfähig gemacht, indem der Staat das Risiko übernommen hat – genau, De-Risking. Jetzt bräuchte es Speicherkapazitäten, die mit der erneuerbaren Energieerzeugung Schritt halten (laut Brentler können im Moment ohne mehr Speicherkapazitäten nicht mehr viel Erneuerbare zugebaut werden). Aber grosse Pumpspeicher oder Elektrolyse-Werke können nicht mehr wie die kleinteiligen privaten Investitionen mit etwas Subventionen über die Profitschwelle gehoben werden. Deshalb tut sich nichts – Die Privaten wollen nicht, weil zu risikoreich; und der Staat ist in der neoliberalen Logik gefangen, die besagt, er dürfe nicht.
Als Übergangstechnologie hat man auf Gas gesetzt, weil weniger beschissen als Kohle. Und sich darauf ausgeruht, dass irgendwer dann schon irgendwie die Speicher bauen wird. Als Gas knapp wurde, musste schnell ein Ersatz her: Flüssiggas. – Da ging’s dann plötzlich mit dem entschiedenen staatlichen Eingreifen.
Die soziale Frage
Soweit die Analyse. Der sozialistische Anspruch ist natürlich, alles im Lichte der Klassenfrage zu lesen (womit man ja auch meist halb richtig liegt) und dann eine Praxis zu entwickeln, die dort ansetzt.
Nun, es stimmt: Umsetzbar ist, was nicht gegen die Interessen derer geht, die vom Status quo profitieren. Zuschüsse für Hausbesitzer:innen zum Beispiel. Oder Umstieg auf Erneuerbare im Schneckentempo, was Energiekonzernen noch möglichst viel Profit aus den Fossilen ermöglicht. Wer Geld hat, kann sich vor den Folgen schützen oder sich rauskaufen; die Menschen im Globalen Süden können das meist nicht. Wenn Lebensmittel durch schlechte Ernten knapper werder (laut Brentler schon jetzt der Fall), spüren das Menschen mit tiefem Einkommen ungleich stärker.
Auch wahr: Der Neoliberalismus ist so aufgegleist, dass es schwer ist, aus seiner Logik auszubrechen. Man denke nur an unsere Pensionskassengelder, die in der Profitlogik des Market dahinköcheln und uns dann bitte mal einen schönen Lebensabend ermöglichen sollen. So gesehen kann die Klimabewegung nur enttäuscht werden – denn sie appelliert an Exponent:innen eines Systems, es zu ändern, die auch darin gefangen sind.
Praxis
Wie ginge es anders? Sozial und ökologisch zusammen denken! Der Staat soll eingreifen, und zwar gleichzeitig im Sinne der Klimawende und für ein besseres Leben von allen.
Das war genau die Idee des Green New Deal, den linke Demokrat:innen, allen voran AOC, in den USA im Regierungsprogramm verankern wollten. Die Idee: Sozialstaat, öffentliche Dienste und Wirtschaft zusammen umbauen – eine öffentliche Krankenkasse, Kinderbetreuung, gesetzliche Ferien, öffentlicher Verkehr, Energieversorgung, Dekarbonisierung. Das Gesetzespaket wurde allerdings über die Jahre immer kleiner – als es 2022 verabschiedet wurde, war nur noch Klimaschutz und Subventionen für die Wirtschaft übrig. Die systemische Logik des De-Risking und "kein Fortschritt auf Kosten der Mächtigen" hat sich ein weiteres Mal durchgesetzt.
Was lernen wir daraus? Brentler plädiert für
- Bündnisse mit Gewerkschaften, um eine linke Massenorganisation zu formieren
- eigene linke Institutionen, wo Wissen erarbeitet wird
- einen konkreten Plan, und bei dessen Erarbeitung weniger Berührungsängste
In der USA habe es an externem Druck gefehlt. Kritisiert werden insbesondere Aktivist:innen und NGOs, die eine Art "naiven" Druck machten, der im Systemdenken verhaftet ist (wenn ich die Kritik richtig verstehe).
Pragmatische Praxis?
Das ist der Punkt, wo ich nicht mehr mitgehe. Ein geeinter Block, der den richtigen Fortschritt ohne Verwirrungen einfordert, ist natürlich toll (fairerweise: auch Brentler räumt ein, dass es einfach ist, etwas zu fordern, und die Lage nun mal nicht so ist). Aber ähm, sind nicht genau NGOs (jedenfalls ein Teil davon) unsere Institutionen, wo Expert:innen Wissen sammeln und sich mit Detailfragen beschäftigen, Pläne schmieden und die herrschenden Narrative in Frage stellen? Ist nicht gerade die Klimabewegung die Massenorganisation, die Druck macht (und übrigens auch sehr konkrete Pläne)? Warum soll Aktivismus nur gut sein, wenn irgendwo "Gewerkschaft" draufsteht?
Berührungsängste und eine Hermeneutik des Verdachts (love for the lingo 🥰) könnten geradesogut dem Absender vorgeworfen werden. Aber warum arbeiten wir nicht mit dem, was wir haben? Realistischerweise gibt es bei denen, die Klimaschutz wollen, verschiedene Fraktionen und Trenngräben:
- Ob soziale und ökologische Anliegen zusammen gedacht werden sollten, scheidet Linke von Liberalen.
- Dass nur linke Massenbewegungen echte Veränderung bringen, trennt Sozialistinnen und Sozialdemokraten.
Meines Erachtens müsste das Ziel sein, dass diese drei Gruppen es schaffen, Bündnisse zu schmieden wo immer möglich statt "alles nach meinem Gusto oder nichts" zu verlangen. Stärke durch Zusammenspannen im Wissen um Verschiedenheit. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Arbeiterbewegung und des grossen, fixfertigen Plans, wir leben im Zeitalter der diversen Milieus, die mit einem "zurück zu Einheit" nicht erreicht werden können (aber das ist wohl genau der Punkt, wo Sozialist:innen per Definition nicht mitgehen, denn die Rede von Milieus ist natürlich Frevel, wenn alles Klasse ist).
Fazit
Unser wirtschaftliches System steht der Klimawende im Weg. Dass es alle von sich und seinen Profiten abhängig gemacht hat, führt dazu, dass wir nicht vorwärts machen (können). Denn alles, was nicht über Profit funktioniert, funktioniert im Neoliberalismus nicht.
Viel zu viel Energie geht für den Tanz darauf, den Privatsektor zu Investitionen zu bewegen. Das verzögert die Wende, dabei ginge es, wenn man wollte (wie der LNG-Schwenk zeigt) – aber dafür braucht es Druck. Zumal es nicht im Interesse derer an den Hebeln der Macht ist, am Status quo zu rütteln.
Unter welchen Vorzeichen, mit welchem Programm, welchem Mindset und welcher Strategie das geschehen soll, ist (und bleibt wohl) Gegenstand von Auseinandersetzungen.