Strommärkte behindern die Energiewende

Brett Christophers (auf den sich auch Andreas Malm bezieht) gibt einen erhellenden Einblick in Energiemärkte und warum sie ein Gefrickel sind: Why capitalism won’t solve the climate crisis

Warum Erneuerbare keine attraktive Investition sind

Der Stromsektor ist einer der grössten Brocken bei der Dekarbonisierung. Ein grosser Teil der Emissionen kommt immer noch aus der Elektrizitätsproduktion, und durch die Umstellung von Transport und Heizen/Kühlen von Fossilen auf Strom wird noch mehr benötigt werden.

Erneuerbare (hier geht es v.a. um Solar und Wind) sind billig geworden. Unschlagbar billig, wie viele Grafiken nahelegen. Fragt sich: Was steht denn dem rasanten Umstieg auf Erneuerbare noch im Wege?

Schon billig, aber

Ganz so einfach ist es leider nicht. Ein wichtiger Faktor: Erneuerbare werden oft dort "geerntet", wo wenig Leute wohnen – denn dort gibt es billiges Land. Die Transportkosten werden aber oft nicht eingerechnet in die Gestehungskosten.

Hürden, die den Prozess erschweren, wie eine Vielzahl nötige Abklärungen und lange Bewilligungsfristen oder Widerstand der lokalen Bevölkerung, können den Ausbau natürlich ebenso behindern, seien aber nicht das grosse Problem, als das sie oft präsentiert werden.

Geringe Profite

Erneuerbare bringen Profite im Bereich von 5-8%. Das macht Erneuerbare unattraktiv. Denn: Die Fossilindustrie ist sich 15% und mehr gewöhnt. Und 5% Zins kriegt man vielerorts auch mit weniger Aufwand.

Volatile Profite

Dazu kommt die Volatilität von Erneuerbaren – der Absatzpreis auf Strommärkten kann um das Hundertfache (!) variieren. Deshalb braucht es Mechanismen für Preisstabilität – denn im Durchschnitt fällt schon ein gewisser Profit an. Diesen sichern Staaten mit Einspeisevergütungen ab.

Staatliche Profitgarantien (oft für 12 Jahre) erhöhen die Attraktivität von Erneuerbaren gegenüber Banken, damit überhaupt investiert wird. Für instabile Staaten ist dies schwierig und auch nicht erste Priorität.

Niedriges revenue potential

Und wo wir schon bei der Finanzindustrie sind: Das revenue potential von Erneuerbaren ist ebenfalls gering. Erneuerbarer Strom fällt durchschnittlich eher dann an, wenn der Preis niedrig ist. Spekulation auf hohe Erträge durch "Retter in Not"-Effekte sind also wenig sinnvoll.

Profite sind hart zu fangen

Der starke Wettbewerb bedeutet, dass Profite nicht captured werden können, also "Gefangen genommen". Sie bleiben nicht bei Investierenden und Betreiberfirmen von Wind- und Solarparks, sondern werden systematisch weitergereicht (sprich: der Strom wird billiger, wenn die Produktion billiger wird).

So werden Lizenzen für Grossprojekte als "umgekehrte Auktionen" durchgeführt: Wer am wenigsten Absicherung (garantierten Preis) "bietet" (verlangt), kriegt den Zuschlag für die Einspeisevergütung. Firmen bieten sich also gegenseitig herunter – die ständig sinkenden Produktionskosten von Erneuerbaren schlagen sich in tieferen Geboten nieder, nicht in mehr Profit.

Zwischenfazit: Probleme, überall Probleme

Zusammengefasst: Erneuerbare bedeuten viel Aufwand und wenig Ertrag. Deshalb sind sie für Investor:innen nicht attraktiv. Beziehungsweise weniger interessant als anderes, insbesondere Fossile (Kackhaufensmilie).

Aber… Für die Konsument:innen sind tiefe Preise und wenig Profite bei Firmen doch gut!?, mag der eine oder die andere nun einwenden. Damit kommen wir zum Fabel-Ungeheuer im Raum: Dem Markt.

Der Strommarkt

Weil wir so ziemlich alles auf der Welt als Ware mit einem Preis konstruieren – Handy, Sofa, Chips, Wasser, Arbeit, Land, … – erging es auch dem Strom nicht anders: Um ihn wurde ein Strommarkt errichtet. Weil muss so sein.

Nur: Während Märkte für gewisse Produktkategorien – Schuhe, Waschmaschinen, Haarschnitte, Software, … – eine breite Produktpalette abbilden, ist der Strommarkt ein regulatorisches Konstrukt: Mit einer Menge Regeln und Bürokratie wird aus Strom eine commodity, also eine Ware, und drum herum wird ein Markt gezimmert, mit komplizierten Regeln welche Firma wann Strom liefern darf und wie viel sie dafür bekommt, Netznutzungsgebühren, staatlichen Subventionen und konstruierten Profiten. Am Ende zahlt dann Endverbraucher A in Gemeinde A die Hälfte von Endverbrauchrin B in Nachbarsgemeinde B weil… something something Strommarkt happend. (Christophers führt Karl Polanyis Konzept der ficticious commodities an.)

Dieser Markt, in dem ganz viele Zielkonflikte als Kompromisse codiert sind (Energie soll billig sein aber das Netz muss halten; die Konzerne sollen was abbekommen aber nicht zu viel; etc. pp.) steht nun zwischen uns und der Energiewende. Man müsste diesem Markt also irgendwie beibringen: Und jetzt gern alles mit Erneuerbaren. – Und der Markt so: Ähm nö, lohnt sich nicht!?

Und deshalb sind wir nun, wo wir sind: Man hat einen Markt designt, der den Konsument:innen Strom, den Produzent:inn Profit und den Ökonom:innen Genugtuung liefert, aber Erneuerbare passen da nicht recht hinein.

Fix the Strommarkt

Wie lösen wir das? Die Antworten hängen davon ab, wen man fragt.

  • Die Industrie sagt, was die Industrie halt sagt: Wir brauchen mehr Geld, damit das profitabel für uns ist! – also mehr staatliche Subventionen oder Abgaben für Erneuerbare in den Energiesektor pumpen, so wie wir es teilweise schon tun: Die USA hat den Inflation Reduction Act, die Schweiz 2.2 rp./KWh für KEV und Deutschland etwas Ähnliches.
  • Orthodoxe Ökonom:innen sagen, was orthodoxe Ökonom:innen nun mal sagen: Der private Sektor ist die Lösung, nicht das Problem! Das Marktdesign passt einfach nicht. Wir müssen hier noch etwas rütteln, und dort schräubeln, und… – was darauf hinausläuft, Emissionen einen Preis zu geben (carbon tax). Und dass das nur eine Handvoll Länder gemacht haben (und in der Schweiz trotz sozialer Ausgestaltung an der Urne abgelehnt wurde), deutet darauf hin, dass es eben gerade nicht so einfach ist.
  • Linke sagen, was Linke eben sagen: Märkte für Infrastruktur funktionieren nicht, also müssen wir das staatlich organisieren. Das würde ausserdem die Planung und Koordination erleichtern. Und der in den Markt hineindesignte Profitzwang würde wegfallen. Dass wir uns den Tanz ums Marktmonster sparen können, wäre natürlich ein grosser Vorteil. Und dass wir nicht mehr darauf angewiesen wären, uns um konstruierte Marktdesigns zu streiten, welche die Profitmünder aller Beteiligten im richtigen Mass stopfen. Dafür bräuchte es aber einen Systemwandel.
Kim   •   31.12.2024