Echo der Zeit 11.12.2022: Europas Bahnen bräuchten einen gemeinsamen Taktfahrplan
Ein Bericht von einem Bahnkongress und die Frage: Wie kann sich die Bahn in Europa besser vernetzen?
Beispiel Skandinavien: es geht kaum vorwärts
Zuerst kommt der norwegische Planer Floire Nathanael Daub zu Wort, Exponent der Initiative 8 Million City, die eine schnelle Zugverbindung von Oslo über Göteborg nach Kopenhagen möchte.
Der Schlussbericht dieser Initiative wurde allerdings schon 2014 veröffentlicht (Artikel von Daub auf Englisch dazu). Seit da wären die Regierungen der drei Staaten am Zug. Doch ein aktueller Artikel in Dagens Nyheter (schwedisch, Übersetzung von mir) vermeldet:
Trotz jahrzehntelanger Einigkeit, dass ein Mangel besteht, haben die schwedische und die norwegische Regierung keinen fertigen Plan für den Ausbau der 350km langen Eisenbahnstrecke zwischen Oslo und Göteborg. … Es ist kaum zu erwarten, dass vor 2050 eine moderne, aus dem Staatshaushalt finanzierte, zweigleisige Eisenbahn gebaut sein wird.
Dort wird auch berichtet, dass nun Anstrengungen von Städten unternommen werden, um wenigstens Göteborg–Oslo mit privater Finanzierung auszubauen – im Fokus stehen dabei allerdings Frachtzüge. Personenzüge würden immerhin nur noch 2½h statt heute 3½h brauchen, aber nicht 1-1½h wie im Projekt der 8 Million City.
Das Problem: Grenzen überqueren
Wie hier schon früher festgehalten, ist länderübergreifendes Denken beim Bahnausbau immer noch selten. Dies bestätigt der Norweger Daub (sinngemäss übersetzt):
Es war immer schwierig, grenzüberschreitend zu planen, und so ist es bis heute. … Auch beim Planen kleiner Strecken sollte man im Auge behalten, dass sie Teil eines grösseren Systems sind. Dieses Mindset fehlt.
Lösungsansätze
Dariush Kowsar (Frankreich) spricht sich für mehr Konkurrenz zwischen Staatsbahnen und Privaten aus (im Gegensatz etwa zu einer europäischen Zuggesellschaft), diese habe beim Eurostar und Thalys funktioniert (die allerdings zu grossen Teilen Staatsbahnen gehören). Dafür brauche es einen besseren Datenaustausch zwischen den Ländern.
Susanne Henkel (Deutschland) fordert ein internationales Ticketing-System (yes please), einen Taktfahrplan über Landesgrenzen hinweg und eine europäische Bahn-Koordinationsstelle.
Laut Eric Consandey (Schweiz) müsse die EU bei der paneuropäischen Eisenbahn vorweg gehen – am besten mit einem Konzept für eine «Bahn 2050» (meine Worte), wie es die Schweiz mit der Bahn 2000 vorgemacht hat. Daraus leite sich die nötige Infrastruktur ab, und wenn die Züge mal rollen, komme die Nachfrage schon.
Fazit
Ideen gibt es viele. Und dass Züge internationaler gedacht werden müssen, ist allen klar. Wenn es um die nächsten konkreten Schritte geht, wird es schwierig. Es gibt viel sollte müsste könnte, aber man ist sich nicht einig, wer und wie.
- Braucht es einen zentralen Impulsgeber? Die EU? Und welches Organ der EU, ein bestehendes oder ein neues? Oder soll’s mal wieder der Wettbewerb richten?
- Wo soll man ansetzen? Gedacht wird von allen möglichen Ebenen her: konkrete Bahnlinien, Modus/Zuständigkeiten, Fahrplan der Zukunft.
Als Schweizer und Zugfahrer ist mir das Modell der Bahn 2000 natürlich sympathisch. Aber wie realistisch ist es, das auf europäischer Ebene umzusetzen, wenn schon ein Streckenausbau von Göteborg nach Oslo ein Hosenlupf ist – obwohl der Bedarf so klar gegeben ist, dass Private einspringen?
Auffällig ist, wie weit auseinander die nationalen Optiken sind (deshalb auch die Länder in Klammern): Der französische Exponent will’s halbprivat machen wie in Frankreich, der Schweizer wie in der Schweiz, in Deutschland ist von der Bahn 2000 immerhin schon die Idee des Taktfahrplans angekommen, aber so richtig Pfupf scheint da auch nicht drin zu sein.
Zur Aufheiterung: Es geht auch ohne Masterplan etwas
Das heisst allerdings nicht, dass nichts passiert:
- Neue Infrastruktur ist im Bau – voraussichtlich 2029 rücken mit der Festen Fehmarnbeltquerung Hamburg und Kopenhagen zusammen
- Es gibt diverse neue Nachtzugangebote, die rege genutzt werden, und da ist noch einiges geplant – auch neues Rollmaterial ist unterwegs
- Am Beispiel neuer Verbindungen zwischen der Schweiz und Deutschland lässt sich auch sehen, dass die überstaatliche Integration Fortschritte macht: von Zürich fahren z.B. alle zwei Stunden Direktzüge nach Stuttgart und München
Aber etwas mehr, etwas schneller und mit mehr Wumms wär schon schön.